Valparaiso, Chile

Auf unserem Weg nach Norden komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wir erkunden die Fjorde und Gletscher Patagoniens, landen auf kleinen Inseln mit riesigen Pinguin- und Robbenkolonien, sehen Seeleoparden ihr Territorium und ihren Harem verteidigen und junge Albatrosse ihre ersten Flugversuche unternehmen. Um den Bug der EUROPA spielen Delfine, und wir begegnen einer Schule von Blauwalen: Mit bis zu 30 Metern Länge sind sie die größten Säugetiere der Erde. Kapitän Klaas lässt alle Maschinen stoppen, während die drei Kolosse in vielleicht hundert Metern Entfernung an uns vorüberziehen – in über 16 Jahren Seefahrt, sagt Klaas, hat er sie noch nie so nahe gesehen.

Ich  finde mich inzwischen immer besser an Bord zurecht: Während ich zu Anfang noch recht hilflos um die drei großen Masten mit ihren dreißig Segeln herumstand, kann ich inzwischen sogar die Trainees einweisen und einteilen, wenn Segel gesetzt, geborgen oder gebrasst werden sollen. Ich weiß wie man die Beiboote klarmacht und aussetzt, die Propellerwellen der beiden Hauptmaschinen fettet und wie die Waschmaschinen funktionieren, finde mich in der Schiffskombüse zurecht und habe gelernt, jede Nacht bis zu 14 Laibe Brot zu backen und dabei die Namen unserer Gäste auswendig zu lernen.

Unter ihnen sind auch zwei Typ-I-Diabetiker: Gary, ein Amerikaner, hat seit 40 Jahren Diabetes – und ist topfit! Er bewahrt seine Insulinvorräte für den Törn in einer Thermoskanne auf: einfach, aber effektiv, das werde ich mir merken. Johan, ein junger Holländer, ist dagegen ein Beispiel dafür, wie man mit seinem Diabetes NICHT umgehen sollte. Als ich ihn anspreche reagiert er unwirsch, ganz so als hätte ich ein wohlgehütetes Geheimnis aufgedeckt. Später erzählt mir die Bordärztin, dass Johan der eigentliche Grund für mein Kletterverbot ist: Er war schon auf einer früheren Tour dabei, hatte damals niemanden über seinen Diabetes informiert, und ist dann in den Rahen des Großmastes unterzuckert. Ich nehme mir vor, ihn aufmerksam zu beobachten.

Dann bitte ich Klaas, mir trotz schlechter Erfahrung das Klettern in der Takelage zu erlauben. Ich zeige ihm mein Accu-Chek Mobile, erkläre, dass ich jederzeit – zur Not auch oben im Mast – meinen Blutzucker kontrollieren kann, präsentiere meinen Vorrat an Müsliriegeln in meinen Ölzeugtaschen – und habe Erfolg! Nach kurzer Sicherheitseinweisung klettere ich bis ins Topp des Großmastes, genieße die herrliche Aussicht und beobachte, wie sich die EUROPA 40 Meter unter mir durch ein Meer klirrender Eisschollen in die nächste Bucht schiebt. Um uns herum lugen hier und dort ein paar Robben aus dem Wasser, in der Ferne steigt die Fontäne eines Wals auf, dann rasselt der Anker. Wahnsinn.

Die nächsten Wochen vergehen wie im Fluge. Zu den Aufgaben an und unter Deck gesellt sich jetzt noch die Arbeit in den Rahen – bei Wind und Wetter, ob Tag oder Nacht werde ich in die Masten gejagt, um Segel zu bergen, zu brassen und aufzutuchen. Deckhand auf einem Großsegler wie der EUROPA zu sein ist wahrlich ein Knochenjob, und den Muskelkater, der mich seit Ushuaia begleitet, werde ich sicher noch einige Tage länger spüren. Schon jetzt steht für mich fest: Ich habe noch nie in meinem Leben so hart gearbeitet. Aber ich freue mich, dass ich auch mit meiem Diabetes allen Anforderungen gerecht werden kann, messe – allerdings nur zum Spaß und um mir selbst zu beweisen, dass es geht – hoch oben auf der obersten Rah meinen Blutzucker (120 mg/dl – was will man mehr!) und genieße jeden Tag in vollen Zügen.

Als wir einen Monat später Valparaiso erreichen wird unsere Flotte mit militärischen Ehren empfangen: Die chilenische Marine begleitet uns mit Zerstörern, Schnellbooten und U-Booten, Feuerlöschboote jagen ein Spalier aus Wasserfontänen in die Luft, und am Kai steht bei jedem Anleger eine Militärkapelle parat, die sogar die holländische Nationalhymne geübt hat. Und ich singe genauso selbstverständlich mit, wie ich beim Segelbergen kurz vor der Hafeneinfahrt in den Großmast geklettert bin, um das schwere Tuch zu raffen. Als wir festgemacht haben boxt mir Ruud, mein Wachführer, im Vorbeigehen freundschaftlich in die Seite, bleibt dann stehen, dreht sich um, legt mir seine beiden Pranken auf die Schultern und lacht mich anerkennend an: „Well done, mate, well done!“. Ich bin Teil dieser Mannschaft geworden.

Mit freundlicher Unterstützung von Roche Diagnostics Deutschland.
Das Logbuch „Mit Accu-Chek Mobile rund Kap Hoorn“ erschien zuerst auf www.accu-chek-mobile.de

Feuerland (Tierra del Fuego)

Nachdem Kap Hoorn gerundet und die Schlafreserven aus Buenos Aires aufgebraucht sind, holt mich die Realität in Form des Arbeitsalltags ein: Wir fahren wie auf dem WALROSS im schwedischen Wachsystem, also mit zwei Tageswachen à 6 und drei Nachtwachen à 4 Stunden. Aber der Unterschied könnte größer nicht sein: Während auf dem WALROSS zwischen Segelmanövern und Ruderwache immer auch Zeit zum rumlungern und ausruhen blieb, ist das Segeln auf der EUROPA zunächst fast nebensächlich, denn in den engen Kanälen Patagoniens fahren wir die meiste Zeit unter Maschine. Die Gäste gehen unter Anleitung von Kapitän und Steuermann Ruderwache und Ausguck und fahren die wenigen anstehenden Manöver – schließlich wollen sie alle etwas über das Segeln auf einem Windjammer lernen. Für die Crew wartet die eigentliche Arbeit dagegen an und unter Deck, und das rund um die Uhr.

Da in Valparaiso der jährliche Riggcheck auf uns wartet, muss zum Beispiel das gesamte stehende Gut gewartet und überholt werden – Wanten, Stagen, Fallen, kurz: viele hundert Meter Stahlseil, über 12 Kilometer Tauwerk zum Setzen und Bergen der Segel und unzählige Blöcke und Umlenkrollen, die meisten davon in luftiger Höhe. Da ich nach wie vor nicht alleine klettern darf, verbringe ich Tage damit, die riesigen, verrosteten Spannschrauben der Masten mit Drahtbürsten zu bearbeiten, zu fetten und neu zu streichen. Außerdem darf ich das Ankergeschirr entrosten und neu markieren, vorne im Bug, tief unter der Wasseroberfläche: dreihundert Meter Eisenkette, jedes Glied wiegt ein paar Kilo.

Nach dem Essen, einer schnellen Dusche und ein paar Stunden Schlaf warten dann abwechselnd eine oder zwei Nachtschichten, in denen sich alles um den Hotelbetrieb für die 50 zahlenden Bordgäste dreht. Die EUROPA wird jede Nacht einmal komplett durchgeputzt: Deckshaus, Salon, Lounge, Bibliothek, alle Gänge und Treppen, Toiletten und Duschen. Gleichzeitig muss Wäsche gewaschen, die Küche aufgeräumt, das Geschirr des vergangenen Tages abgewaschen, der Müll von 70 Personen sortiert, Brot gebacken und das Frühstück vorbereitet werden. Dazwischen ertönt immer mal wieder die Glocke: „All hands on deck!“ – ein Segel muss gesetzt, geborgen oder neu getrimmt werden, dann geht es zurück an Geschirrhandtuch, Putzlappen oder Backofen. Die kurzen Raucher- und Kaffeepausen der anderen nutze ich für schnelle Sprints zu meiner Koje, um meinen Blutzucker zu messen, der ziemliche Kapriolen schlägt – ich habe vom ersten Tag an einen tierischen Muskelkater und esse pro Mahlzeit so viele Kohlenhydrate wie sonst an einem ganzen Tag nicht.

In meiner Freiwache verbringe ich soviel Zeit wie möglich an Deck. Die EUROPA ist ein wahrhaft majestätisches Schiff, und wir segeln mit ihr durch eine der ursprünglichsten Landschaften der Erde: Patagonien. Über tiefliegenden Wolkenbändern glitzern die schneebedeckten Bergkuppen der Anden. Darunter sieht die schroffe, dunkel aufragende Küste mit ihren tief ins Landesinnere reichenden Fjorden ziemlich bedrohlich aus. Die karge Vegetation scheint fast ausschließlich aus Moosen und Flechten zu bestehen, wir werden von Albatrossen, Walen und Delfinschulen begrüßt – Menschen sehen wir keine.

Packeis treibt uns entgegen: Erst sind es nur einzelne Schollen, dann ein steter, sich langsam verdichtender Strom von glasklarem Gletschereis: Der doppelt stahlbeplankte Bug der EUROPA bahnt sich seinen Weg durch den Seno Garibaldi-Fjord. Als wir um die letzte Ecke biegen stoppt Kapitän Klaas die Maschine: Nur wenige hundert Meter vor uns ragt eine stahlblaue Wand aus Eis fünfzig Meter in die Höhe: Der grollend kalbende Garibaldi-Gletscher. Zwei Schlauchboote werden ausgesetzt, und mit je zehn Personen an Bord geht es zwischen hell aneinanderklirrenden Eisschollen hindurch zu einer tiefen Höhle im Fels. Bei heißem Grog und Lebkuchen genießen wir von dort den Blick zurück auf die EUROPA, während wir im Wasser spielende Robben beobachten. Dann geht es zurück an Bord, Kurs: Punta Arenas und die Magellanstraße.

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Kap Hoorn & Patagonien

Zwei Wochen später trifft das WALROSS in Buenos Aires ein, um uns wieder an Bord zu nehmen. Dieters Auge hat sich gut erholt, er freut sich, dass er weitersegeln darf. Und auch ich wollte von hier aus die südamerikanische Küste hinauf gen Rio segeln. Aber Pläne sind da, um geändert zu werden: Ich fliege zurück nach Ushuaia! Von dort aus werde ich im Auftrag der Segelzeitschrift YACHT noch einmal rund Kap Hoorn segeln – diesmal an Bord eines richtigen Windjammers! Ich habe auf der holländischen Dreimastbark EUROPA angeheuert – als „deckhand“. Im Rahmen der 200-Jahr-Feier zur südamerikanischen Unabhängigkeit nimmt sie an der „Regata Bicentenario“ teil und segelt mit acht weiteren Segelschulschiffen der südamerikanischen Marine rund um Südamerika. Die aktuelle Etappe führt via Kap Hoorn und die Magellanstraße nach Punta Arenas und Valparaiso.

Als ich in Ushuaia ankomme werde ich von Kapitän Klaas begrüßt: „Gute Presse können wir immer gebrauchen – Journalisten nicht!“ Er teilt mich der Backbordwache zu und erklärt der Crew, dass sie mich als einen der Ihren betrachten und in alle Wachen und Arbeiten integrieren sollen – mit einer Ausnahme: Als Diabetiker darf ich nicht in die Masten. Das tut weh: Das Aufentern und Arbeiten in den Rahen zählt zwar zu den härtesten Jobs an Bord eines Windjammers, aber sicher auch zu den einzigartigen Erlebnissen auf so einer Reise. Ich nehme mir vor, Kapitän Klaas zu gegebener Zeit noch einmal darauf anzusprechen – zunächst wartet an und unter Deck genug Neues und genug Arbeit auf mich.

Wir sind 16 Crew an Bord: Der Kapitän mit seiner Frau, Steuermann, Bootsmann, Küchenhilfe und Maschinist sowie je fünf Mann pro Wache – wobei „Mann“ nicht falsch zu verstehen ist: Die Hälfte der Crew ist weiblich. Dass die nächsten Wochen mit dieser doch recht kleinen Besatzung kein Urlaub werden ist mir klar. Dass das Segeln an sich den kleinsten Teil meiner Arbeit ausmachen wird dämmert mir, als kurz nach meiner Ankunft drei große Laster am Kai vorfahren: Sie bringen den Proviant für die nächsten Wochen. Wir bilden eine Menschenkette, und über Stunden wandern unzählige Paletten Cola und Bier, viele Kästen Wein, schwere Reis- und Mehlsäcke, zentnerweise Fleisch und Käse und viele Kisten Obst und Gemüse Hand über Hand in die riesigen Stauräume unter Deck.

Mit gehörigem Muskelkater sitze ich am Abend über der Gästeliste und lerne Namen und Gesichter auswendig. Jede Koje der EUROPA ist belegt: Insgesamt 50 Trainees wollen sich das in unserer Zeit einmalig gewordene Ereignis einer Kap Hoorn-Passage an Bord eines echten Windjammers nicht entgehen lassen. Und sie sollen wahrlich auf ihre Kosten kommen: Am 24. März 2010 rundet eine Armada von neun Großseglern bei strahlendem Sonnenschein den südlichsten Zipfel Amerikas. Kapitän, Mannschaft, Gäste, wir alle stehen an Deck und schauen ehrfürchtig auf über dreihundert prall gefüllte Segel, die majestätisch am gefürchtetsten Kap der Welt vorbeiziehen.

Tausende Meter unter uns liegen die Wracks ungezählter Großsegler – Schiffe wie die EUROPA, die den oft plötzlich aufziehenden Stürmen dieser Gegend nicht gewachsen waren. Kapitän Klaas wird auf einmal nervös: Hinter uns ziehen dunkle Wolken auf, weiße Schaumkronen jagen über steiler werdende Wellenkämme. ESMERALDA und LIBERTAD, die Segelschulschiffe Chiles und Argentiniens, sind bereits umgedreht, der Rest folgt ihnen. Ein paar schnelle Kommandos und der schwere Schiffsdiesel springt an, der Steuermann gibt volle Fahrt voraus und meine Crewkameraden bergen die Segel: Die EUROPA nimmt Kurs auf die geschützten Fjorde Patagoniens.

Mit freundlicher Unterstützung von Roche Diagnostics Deutschland.
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