Nachdem Kap Hoorn gerundet und die Schlafreserven aus Buenos Aires aufgebraucht sind, holt mich die Realität in Form des Arbeitsalltags ein: Wir fahren wie auf dem WALROSS im schwedischen Wachsystem, also mit zwei Tageswachen à 6 und drei Nachtwachen à 4 Stunden. Aber der Unterschied könnte größer nicht sein: Während auf dem WALROSS zwischen Segelmanövern und Ruderwache immer auch Zeit zum rumlungern und ausruhen blieb, ist das Segeln auf der EUROPA zunächst fast nebensächlich, denn in den engen Kanälen Patagoniens fahren wir die meiste Zeit unter Maschine. Die Gäste gehen unter Anleitung von Kapitän und Steuermann Ruderwache und Ausguck und fahren die wenigen anstehenden Manöver – schließlich wollen sie alle etwas über das Segeln auf einem Windjammer lernen. Für die Crew wartet die eigentliche Arbeit dagegen an und unter Deck, und das rund um die Uhr.
Da in Valparaiso der jährliche Riggcheck auf uns wartet, muss zum Beispiel das gesamte stehende Gut gewartet und überholt werden – Wanten, Stagen, Fallen, kurz: viele hundert Meter Stahlseil, über 12 Kilometer Tauwerk zum Setzen und Bergen der Segel und unzählige Blöcke und Umlenkrollen, die meisten davon in luftiger Höhe. Da ich nach wie vor nicht alleine klettern darf, verbringe ich Tage damit, die riesigen, verrosteten Spannschrauben der Masten mit Drahtbürsten zu bearbeiten, zu fetten und neu zu streichen. Außerdem darf ich das Ankergeschirr entrosten und neu markieren, vorne im Bug, tief unter der Wasseroberfläche: dreihundert Meter Eisenkette, jedes Glied wiegt ein paar Kilo.
Nach dem Essen, einer schnellen Dusche und ein paar Stunden Schlaf warten dann abwechselnd eine oder zwei Nachtschichten, in denen sich alles um den Hotelbetrieb für die 50 zahlenden Bordgäste dreht. Die EUROPA wird jede Nacht einmal komplett durchgeputzt: Deckshaus, Salon, Lounge, Bibliothek, alle Gänge und Treppen, Toiletten und Duschen. Gleichzeitig muss Wäsche gewaschen, die Küche aufgeräumt, das Geschirr des vergangenen Tages abgewaschen, der Müll von 70 Personen sortiert, Brot gebacken und das Frühstück vorbereitet werden. Dazwischen ertönt immer mal wieder die Glocke: „All hands on deck!“ – ein Segel muss gesetzt, geborgen oder neu getrimmt werden, dann geht es zurück an Geschirrhandtuch, Putzlappen oder Backofen. Die kurzen Raucher- und Kaffeepausen der anderen nutze ich für schnelle Sprints zu meiner Koje, um meinen Blutzucker zu messen, der ziemliche Kapriolen schlägt – ich habe vom ersten Tag an einen tierischen Muskelkater und esse pro Mahlzeit so viele Kohlenhydrate wie sonst an einem ganzen Tag nicht.
In meiner Freiwache verbringe ich soviel Zeit wie möglich an Deck. Die EUROPA ist ein wahrhaft majestätisches Schiff, und wir segeln mit ihr durch eine der ursprünglichsten Landschaften der Erde: Patagonien. Über tiefliegenden Wolkenbändern glitzern die schneebedeckten Bergkuppen der Anden. Darunter sieht die schroffe, dunkel aufragende Küste mit ihren tief ins Landesinnere reichenden Fjorden ziemlich bedrohlich aus. Die karge Vegetation scheint fast ausschließlich aus Moosen und Flechten zu bestehen, wir werden von Albatrossen, Walen und Delfinschulen begrüßt – Menschen sehen wir keine.
Packeis treibt uns entgegen: Erst sind es nur einzelne Schollen, dann ein steter, sich langsam verdichtender Strom von glasklarem Gletschereis: Der doppelt stahlbeplankte Bug der EUROPA bahnt sich seinen Weg durch den Seno Garibaldi-Fjord. Als wir um die letzte Ecke biegen stoppt Kapitän Klaas die Maschine: Nur wenige hundert Meter vor uns ragt eine stahlblaue Wand aus Eis fünfzig Meter in die Höhe: Der grollend kalbende Garibaldi-Gletscher. Zwei Schlauchboote werden ausgesetzt, und mit je zehn Personen an Bord geht es zwischen hell aneinanderklirrenden Eisschollen hindurch zu einer tiefen Höhle im Fels. Bei heißem Grog und Lebkuchen genießen wir von dort den Blick zurück auf die EUROPA, während wir im Wasser spielende Robben beobachten. Dann geht es zurück an Bord, Kurs: Punta Arenas und die Magellanstraße.
Mit freundlicher Unterstützung von Roche Diagnostics Deutschland.
Das Logbuch „Mit Accu-Chek Mobile rund Kap Hoorn“ erschien zuerst auf www.accu-chek-mobile.de