Zwei Wochen später trifft das WALROSS in Buenos Aires ein, um uns wieder an Bord zu nehmen. Dieters Auge hat sich gut erholt, er freut sich, dass er weitersegeln darf. Und auch ich wollte von hier aus die südamerikanische Küste hinauf gen Rio segeln. Aber Pläne sind da, um geändert zu werden: Ich fliege zurück nach Ushuaia! Von dort aus werde ich im Auftrag der Segelzeitschrift YACHT noch einmal rund Kap Hoorn segeln – diesmal an Bord eines richtigen Windjammers! Ich habe auf der holländischen Dreimastbark EUROPA angeheuert – als „deckhand“. Im Rahmen der 200-Jahr-Feier zur südamerikanischen Unabhängigkeit nimmt sie an der „Regata Bicentenario“ teil und segelt mit acht weiteren Segelschulschiffen der südamerikanischen Marine rund um Südamerika. Die aktuelle Etappe führt via Kap Hoorn und die Magellanstraße nach Punta Arenas und Valparaiso.
Als ich in Ushuaia ankomme werde ich von Kapitän Klaas begrüßt: „Gute Presse können wir immer gebrauchen – Journalisten nicht!“ Er teilt mich der Backbordwache zu und erklärt der Crew, dass sie mich als einen der Ihren betrachten und in alle Wachen und Arbeiten integrieren sollen – mit einer Ausnahme: Als Diabetiker darf ich nicht in die Masten. Das tut weh: Das Aufentern und Arbeiten in den Rahen zählt zwar zu den härtesten Jobs an Bord eines Windjammers, aber sicher auch zu den einzigartigen Erlebnissen auf so einer Reise. Ich nehme mir vor, Kapitän Klaas zu gegebener Zeit noch einmal darauf anzusprechen – zunächst wartet an und unter Deck genug Neues und genug Arbeit auf mich.
Wir sind 16 Crew an Bord: Der Kapitän mit seiner Frau, Steuermann, Bootsmann, Küchenhilfe und Maschinist sowie je fünf Mann pro Wache – wobei „Mann“ nicht falsch zu verstehen ist: Die Hälfte der Crew ist weiblich. Dass die nächsten Wochen mit dieser doch recht kleinen Besatzung kein Urlaub werden ist mir klar. Dass das Segeln an sich den kleinsten Teil meiner Arbeit ausmachen wird dämmert mir, als kurz nach meiner Ankunft drei große Laster am Kai vorfahren: Sie bringen den Proviant für die nächsten Wochen. Wir bilden eine Menschenkette, und über Stunden wandern unzählige Paletten Cola und Bier, viele Kästen Wein, schwere Reis- und Mehlsäcke, zentnerweise Fleisch und Käse und viele Kisten Obst und Gemüse Hand über Hand in die riesigen Stauräume unter Deck.
Mit gehörigem Muskelkater sitze ich am Abend über der Gästeliste und lerne Namen und Gesichter auswendig. Jede Koje der EUROPA ist belegt: Insgesamt 50 Trainees wollen sich das in unserer Zeit einmalig gewordene Ereignis einer Kap Hoorn-Passage an Bord eines echten Windjammers nicht entgehen lassen. Und sie sollen wahrlich auf ihre Kosten kommen: Am 24. März 2010 rundet eine Armada von neun Großseglern bei strahlendem Sonnenschein den südlichsten Zipfel Amerikas. Kapitän, Mannschaft, Gäste, wir alle stehen an Deck und schauen ehrfürchtig auf über dreihundert prall gefüllte Segel, die majestätisch am gefürchtetsten Kap der Welt vorbeiziehen.
Tausende Meter unter uns liegen die Wracks ungezählter Großsegler – Schiffe wie die EUROPA, die den oft plötzlich aufziehenden Stürmen dieser Gegend nicht gewachsen waren. Kapitän Klaas wird auf einmal nervös: Hinter uns ziehen dunkle Wolken auf, weiße Schaumkronen jagen über steiler werdende Wellenkämme. ESMERALDA und LIBERTAD, die Segelschulschiffe Chiles und Argentiniens, sind bereits umgedreht, der Rest folgt ihnen. Ein paar schnelle Kommandos und der schwere Schiffsdiesel springt an, der Steuermann gibt volle Fahrt voraus und meine Crewkameraden bergen die Segel: Die EUROPA nimmt Kurs auf die geschützten Fjorde Patagoniens.