Drei Wochen nach unserer ersten Rundung des Kap Hoorn stehe ich tatsächlich vor dem stählernen Albatross auf der Isla de Hornos. Einige hundert Meter entfernt dreht das WALROSS seine Kreise in der kleinen Ankerbucht.
Eigentlich sind wir auf dem Weg nach Buenos Aires – aber die neue Crew hat es sich nicht nehmen lassen, die gute Wetterlage für einen kurzen Abstecher nach Süden zu nutzen, um den Fels der Felsen selber in Augenschein zu nehmen. Wir machen ein Gruppenfoto vor der kleinen Inselkapelle, werden vom Leuchtturmwärter und seiner Frau begrüßt und lassen uns den obligatorischen Kap Hoorn-Stempel in die Pässe drücken. Dann wird es höchste Zeit für den Rückweg – die Gegend um Kap Hoorn ist bekannt für schnelle Wetterumschwünge, und unser kleines Schlauchboot hat bereits Mühe, gegen die hohen Wellen zurück zum Schiff zu kommen.
Drei Tage später kämpfen wir uns bei Sturmstärke tief gerefft durch die berüchtigte Le Maire Straße. Kurz vor Mitternacht hören wir unseren Steuermann laut aufschreien: Er ist im dunklen, nassen Vorschiff ausgerutscht und mit dem linken Auge in den Haken eines Kleiderbügels gefallen! Ein Teil des Augenlids ist abgerissen, es blutet entsetzlich, er kann nichts mehr sehen. Wir drehen bei, versuchen das Schiff trotz hoher Wellen möglichst ruhig zu halten, während Dieter einen ordentlichen Schluck Rum bekommt und unser Bordarzt sich an die Notoperation macht: 11 Stiche direkt über dem Augapfel!
Wir überlegen, den britischen Militärhafen auf den Falklandinseln anzulaufen – aber bis dahin sind es noch drei Tage gegenan. Der Schiffer fällt die einzig richtige Entscheidung: Es geht zurück nach Puerto Williams, dem südlichsten Yachthafen der Welt. Dort gibt es einen kleinen Sportflughafen. Über Satellitentelefon und mit Unterstützung der deutschen Botschaft organisieren wir eine Cessna, die Dieter und mich als Begleitperson nach Ushuaia ausfliegen wird. Von dort soll es direkt weiter ins deutsche Krankenhaus nach Buenos Aires gehen.
Während wir in Puerto Williams noch eine Flugtauglichkeitsbescheinigung vom lokalen Militärarzt einholen müssen komme ich ins Gespräch mit einem dänischen Segler-Ehepaar: Poul und Vibeke haben hier festgemacht um einen Maschinenschaden zu beheben. Sie warten seit Wochen auf Ersatzteile und müssen ihre Weltumsegelung jetzt unterbrechen, weil Vibeke Diabetikerin ist und ihre Vorräte an Insulin und Messstreifen zur Neige gehen! Wir vergleichen unsere Insulinart, unsere Tagesdosis und Vorratslisten – Ergebnis: Ich habe zwei Ersatzmessgeräte, ausreichend Testkassetten und genug Insulin dabei, um einen Teil abgeben zu können – genug, um Vibeke zumindest die amerikanische Westküste erreichen zu lassen. Während unsere Cessna schon zum Landeanflug ansetzt erkläre ich ihr schnell noch die Handhabung meines Accu-Chek Mobile – sie ist genauso begeistert von dem Gerät wie ich – und drücke ihr eine eilig gepackte Tüte mit Testkassetten und Insulinkartuschen in die Hand, dann hupt das Taxi.
Wenig später fliegen wir den unter uns liegenden Beagle-Kanal entlang, zur Linken liegen die südlichen Ausläufer Chiles, rechts glitzern die schneebedeckten Bergkuppen Feuerlands. Ich drehe mich im Cockpit der kleinen Sportmaschine um, werfe einen letzten Blick auf den kleinen Hafen von Puerto Williams und denke über die Zufälle des Lebens nach. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Diabetiker treffen? Und das hier, am Ende der Welt? Unter solchen Umständen? Und ich muss an die Worte des 70-jährigen Kommodore vom akademischen Segler-Verein Stettin denken. Als ich dort im Herbst 2008 mit meiner kleinen TADORNA einlief, mit kaputtem Motor, lecken Planken und vielen tausend Meilen Ostsee im Kielwasser, und ihm ein paar Tage später für seine bedingungslose Hilfe danke wollte, sagte er nur: „Every sailor needs a little help now and then. Help me by helping someone else.“